Memories #1
Durch Zufall habe ich im Keller 2 Kisten mit Radsport Erinnerungen gefunden. Pokale, Urkunden und sonstige Dinge. Beim Durchstöbern kamen mir wie Blitzlichter diverse Szenen wieder in den Sinn. Da habe ich mir gedacht, mach doch mal ne Serie daraus. *Tada*….. Heute beginnt meine „Memories“ Reihe.
Beginnen werde ich mit dem für mich großartigsten Event, dem Maratona dles Dolomites. Meine erste Teilnahme im Jahr 1994 war in vieler Hinsicht einzigartig und ganz nebenbei auch beinahe meine Letzte 😳 Ursprünglich war die Anreise für Freitags geplant, wurde aber kurzfristig auf Dienstags vorverlegt. Ja, damals war das noch möglich 😉 Genauso wie einen Startplatz zu bekommen. Auch das klappte relativ spontan Ende April, nach dem Mallorca Trainingslager. Dort schmiedeten wir die Pläne für den Saisonverlauf mit Wolfgang und Marlies. Die 2 hatten mir in den 14 Tagen auf der Insel den Floh ins Ohr gesetzt. Und wer mich kennt der weiss, habe ich Lunte gerochen, bin ich nicht zu bremsen. Ein Quartier war in St. Kassian schnell gefunden. Meine ersten Pässe per Rad standen somit bevor.
Nach der Anreise am Dienstag ging es direkt in den ersten Pass. Passo Valparola! War das alles Gigantisch. Auf dem Falzarego stand ich plötzlich Rücken an Rücken mit Wolfgang 😉 Überraschung gelungen. Mittwoch und Donnerstag ging es auf gemeinsame Runden und dann hieß es Ausruhen für Sonntag. Viele Gedanken schossen mir durch den Kopf. Reicht mein Training? Bin ich stark genug? Auf den Trainingsrunden kam mir das Pässe fahren gar nicht so schwierig vor. Neben Mallorca hatte ich noch 5 Marathon Veranstaltungen in den Niederlanden, Belgien, Österreich und Deutschland besucht. Also Augen zu und durch.
Am Samstag bei der Einschreibung wurde mitgeteilt, dass der Startort kurzfristig von Pedraces nach Corvara verlegt wurde und somit die Strecke ein wenig kürzer werden würde. 8 Km weniger machen den Braten nicht fett, denn musste ich doch morgens sowieso mit dem Rad zum Start rollen. Im Startblock mit Blick auf den Sassongher war ich den Tränen nahe. So etwas hatte ich noch nicht erlebt. Mit über 5000 Radsportlern blickte ich auf den markanten Berg und wartete auf die Startfreigabe.
Als der Startschuss erfolgte, gab es für mch kein Halten mehr. Ich rollte los und kurbelte das Grödner Joch hinauf. So wie ich im Bergischen Land die Hügel hinauf fuhr, so machte ich es hier auch. 39/23 oder 21 liefen gut. Ich überholte mehr, als selber überholt zu werden. Die gesamte Szenerie hatte mich gepackt. Nach dem Passo Sella mit seinem Traumpanorama ging es lange bergab bis nach Canazei. Dort verpflegte ich mich zügig und weiter ging die wilde Fahrt. Der Passo Fedaia mit seinem langen Tunnel zum Ende verlief wie die ersten beiden Pässe. Im damals noch unbeleuchteten Tunnel wurde es etwas langsamer, dann folgte die Verpflegungsstation an der Passhöhe. Was für eine Auswahl. Ich futterte ein wenig, trank etwas und jagte mit über 85 Km/h die bis zu 16% steile Abfahrt nach Roca Pietore hinunter. Was für ein Temporausch 🙂 Meine Euphorie trug mich immer weiter. Den Abschnitt hoch ins Buchensteiner Tal, vorbei am Friedhof hinter Digonera spürte ich erstmals die Hitze des Tages. Kurz vor Arabba war die nächste Verpflegung erreicht. Gleiches Bild wie vorher. Hastig etwas zu sich nehmen und weiter. Der Campolongo wartete. Hier rollte es phasenweise nicht mehr so flüssig, so daß auch der 26er Rettungsring zum Einsatz kam. Schön waren die Zuschauer in der letzten Kehrengruppe vor der Passhöhe. Das motivierte mich noch einmal, das Tempo etwas zu forcieren. Die 10 Km Abfahrt bis La Villa brachte ich zügig hinter mich, bog natürlich rechts ab, um den Valparola in Angriff zu nehmen. Die Hitze war deutlich spürbar und an der zusätzlichen Getränkestation nahm ich fahrend einen Becher entgegen. Sonst nix 😦 Ich war noch immer im Tunnel. Den Anstieg kannte ich ja von Dienstag. „War ja nicht so schwer“ waren die Gedanken. Doch die 16 Km lange Auffahrt in der Sonne war unbarmherzig. Ich wurde für all meine Fehler brutal bestraft. Vom Himmel in die Hölle umschreibt es treffend. Knapp 6 Km vor der Passhöhe zog mir jemand komplett den Stecker. Ich verstand überhaupt nicht warum. Zu allem Überfluß waren beide Trinkflaschen leer. Nix ging mehr. Ich musste Schlangenlinien fahren um überhaupt noch vorwärts zu kommen. Quälend lange dauerte es bis oben. Bis Zur Verpflegung. Bis zum Wasser. Ich sass mit weiteren Fahrern ca 45 min auf der Straße. Was sollte ich tun? Den Passo Giau und erneut den Campolongo würde ich nicht schaffen. Never ever. Aber auch den Valparola wieder runter rollen in Richtung Ziel kam für mich auch nicht in Frage. Also entschloß ich mich, über den Falzarego ins Buchensteiner Tal abzufahren. Das Tal und den Campolongo würde ich schon noch schaffen.
Jedoch wurde das Buchensteiner Tal bereits zur Qual. 39-26 bekam ich kaum noch getreten. Der Körper war einfach leer. Zuviel Euphorie sorgte für viel zu schnelles Tempo. Soviel war mir in der Zwischenzeit klar. Schließlich hatte ich durch die extrem langsame Fahrt genügend Zeit, um über meine Fehler nachzudenken. Auch hatte ich viel zu wenig gegessen und getrunken. Das wirkte sich bei Wärme doppelt negativ aus. Vor Arabba gab es nochmals Verpflegung. Aber auch der Magen wollte nicht mehr so richtig. Mit dem Nötigsten versorgt machte ich mich auf die 4 km lange Auffahrt. So schnell ich vor wenigen Stunden hier herauf geflogen war, jetzt war Schneckentempo angesagt 🙂 Ich quälte mich Meter für Meter den Berg hinauf. Nach einer Ewigkeit rief mir jemand zu „Prima, die Hälfte hast du schon“ In diesem Moment hätte ich den Typen killen können. Der gut gemeinte Zuruf löste in mir aber das Gegenteil aus. Irgendwie wurde ich noch langsamer. Erst beim Blick auf die letzten Kehrengruppe kam wieder etwas Leben in den erschöpften Körper. Noch immer standen dort ein paar Zuschauer, die mich nochmals pushten. Vermutlich schafte ich kurzzeitig 8 statt 7 Km/h 😉 Doch dann war ich endlich oben. Endlich! Der Zielhang in Pedraces sollte jetzt auch noch zu schaffen sein. Aber fast wäre ich gar nicht mehr bis dort gekommen.
Der Busverkehr um den Sellastock war zu diesem Zeitpunkt wieder freigegeben. Und so überholte ich direkt hinter der Passhöhe einen ebensolchen. Ich ging aus dem Sattel und beschleunigte so gut ich noch konnte. Der Busfahrer nickte mir zu und ich griff wieder in den Unterlenker, als dieser plötzlich brach. Urplötzlich und ohne Vorwahnung war der rechte Teil des Lenkers nur noch über Brems und Schaltzug mit dem Rad verbunden. Zum Glück brachte ich die Situation ohne Sturz unter Kontrolle und rauschte mit dem Bus im Nacken den Berg hinunter. Adrenalin pur! In Corvara hatten die Serpentinen ein Ende. Ich schaltete auf ein passendes Ritzel, klemmte das abgebrochene Stück Lenker am Oberrohr fest und fuhr die nächsten Kilometer gen Pedraces mit halbem Lenker. Das klappte erstaunlich gut. Das Adrenalin sorgte für ordentlich Schub. Vor dem Zielhang schaltete ich aufs kleine Blatt und das 26er Ritzel, klemmte den Lenker wieder fest und rollte den Zielhang unter dem Jubel der staunenden Zuschauer hinauf ins Ziel. Dort wurde mir schlagartig bewusst, wieviel Glück im Unglück ich hatte. Kein Sturz, keine Blessuren, nichts.
Am Abend war ich einfach nur müde und glücklich. Glücklich über die Entscheidung, nicht mehr den Giau gefahren zu sein. Vermutlich wäre mir der angebohrte Lenker (erstmals wurden mittels dieser Technik Bremszüge im Lenker verlegt) sonst im Wiegetritt bergauf gebrochen. Und das hätte durchaus schlimmere Folgen für mich haben können. Somit blieb als Fazit nur zu sagen: Sehr viel gelernt, viele Fehler gemacht, geile Veranstaltung, im Jahr 1995 komme ich wieder!
Die nackten Zahlen zum Tag: 145,6 Km, 3616 Hm, 21,6 Schnitt, 85,5 Max, 6:48:03 Fahrzeit. Die Liebe zu dieser Region und zu dieser Veranstaltung fand am 03.07.1994 ihren Ursprung und ist bis heute so geblieben.
…sehr sehr geil…kommen einem schon etwas die Tränchen….auch über die Jahre hinweg…. Thx… LG
Selbst beim Schreiben musste ich ordentlich schlucken 😢
Tolle Story, liest sich als wärs erst gestern gewesen😎. Hast Dich fast nicht verändert, bis auf den Schnauz🤣
😂😂😂